Heute schlichen schon die ersten Herbstnebel über die Waal (hoch genug, so dass keine Schiffsbehinderungen zu vermelden waren). Wir entschlossen uns, das Slot Loevestein zu besuchen. Wir fuhren mit dem Fahrrad zur Fähre, die uns über die Waal setzte. Wir starteten in Hoekeinde und fuhren zum Ort Woudrichem, der ebenfalls am Südufer der Waal liegt. Dort bestiegen wir nach einem Snack im Café eine zweite Fähre, die uns nach der Provinz Gelderland übersetzte. Von dort war es nur noch ein kleines Stück bis zum Slot Loevestein.

Slot Loevestijn

Im Jahre 1361 liess der Ritter Dirc Loef van Horne dort einen Turm erbauen, von wo er einen guten Blick auf die Waal hatte und von wo er Zölle erheben konnte. Über die Jahrhunderte wurde der Bau Schritt für Schritt erweitert und war bis 1956 militärisches Gelände. Wenn man die Epochen unterteilen möchte, die das Schloss und seinen Ruf prägten, kann man unterscheiden zwischen Mittelalter, Staatsgefängnis und Wasserlinie.

Auf dem Rundgang erklärte uns ein Guide viele interessante Geschichten, die mit der Burg in Zusammenhang stehen. Ich picke hier die Zeit heraus, in der das Schloss als Staatsgefängnis diente. Dort wurden keine Mörder und Diebe inhaftiert, wohl aber politische Gefangene oder Menschen, die mit der Obrigkeit im Widerspruch standen.

Einer dieser Inhaftieren war Hugo de Groot. Er wurde am 10. April 1583 in Delft geboren und starb am 28. August 1645 in Rostock. Er war Pilosoph, Theologe, Rechtsgelehrter und früher Aufklärer sowie Vorkämpfer für Toleranz in religiösen Fragen. Er reiste, so der Guide, auch mal in die Schweiz und machte Bekanntschaft mit Huldrych Zwingli in Zürich.

Lebenslauf von Hugo de Groot

Als Kind in eine wohlhabende calvinistische Familie geboren, galt er als Wunderkind. Bereits mit zwölf Jahren sprach er fliessend Latein und Griechisch. Mit elf Jahren studierte der Jüngling bereits an der Universität von Leiden. 1599 wurde ihm von der Universität Orléans die Ehrendoktorwürde verliehen. Mit sechzehn Jahren erhielt er die Zulassung als Anwalt, im Jahre 1607 wurde er Staatsanwalt von Holland und 1613 Stadtsyndikus von Rotterdam.

Damals befand sich seine Heimat im Konflikt mit Spanien und Portugal über den Seehandel mit Indien. Die beiden Staaten machten Exklusivrechte geltend. Hugo de Groot veröffentlichte 1609 eine Schrift „Mare Liberum“, welche die niederländische Forderung nach freiem Handel zur See unterstützte und juristisch begründete. Diese Schrift gilt heute nach als Basis für das international geltende Seerecht. Die Frage, wie weit denn Staaten den Küsten entlang eigenes Territorium geltend machen könnten, beantwortete er mit „soweit eine Kanonenkugel fliegen kann“. Damit war die Dreimeilen-Zone geboren.

Im religiösen Streit zwischen Remonstranten, die die Selbstbestimmung hochhielten, und den Contraremonstranten, die dem Individuum jegliche Selbstbestimmung absprachen und das Schicksal als vorbestimmt predigten, wählte Hugo de Groot seinem Credo entsprechend die liberalen Remonstranten und stellte sich damit gegen den Statthalter Moritz von Oranien. Dieser liess verschiedene Gegner hinrichten. De Groot wurde 1619 zur Haft auf Lebenszeit verurteilt und im Schloss Loevestijn eingesperrt.

Zwei Jahre verbrachte De Groot als Gefangener im Schloss. Als Häftling wurde ihm aber zugebilligt, sich Bücher bringen zu lassen. Dieses Privileg verhalf ihm schliesslich zur Flucht: In einer Bücherkiste entkam er der Gefangenschaft. Seine Flucht führte ihn dann über Brüssel nach Paris. Obschon er 1631 nach Moritz‘ Tod nach Holland zurückkehrte, wurde ihm keine Rehabilitation zuteil, im Gegenteil. Die Obrigkeit versuchte erneut, ihn zu verhaften. Deshalb flüchtete er wieder nach Paris und trat dort in französische Dienste. Er wurde zum Botschafter in Schweden ernannt. De Groot wurde dann kurze Zeit später entlassen und hätte für die Fürstin Christine in Stockholm arbeiten sollen. Das wollte er aber nicht und reiste deshalb zurück nach Frankreich. Auf der Schiffreise geriet ihr Schiff in einen furchtbaren Sturm, so dass er schliesslich in Danzig landete. Auf dem Weg nach Lübeck erkrankte De Groot schwer. In Rostock starb er schliesslich an den Folgen seiner Krankheit.

Seine wegweisenden Werke

Seerecht

1604 / 1605 verfasste De Groot ein Rechtsgutachten für die Niederländische Ostindien-Kompanie. Sie enthielt bereits die Grundgedanken seiner späteren Hauptwerkes, blieb aber vorerst unveröffentlicht. Ein Kapitel daraus mit dem Titel „Mare Liberum“ (Das freie Meer) wurde 1609 zuerst anonym veröffentlicht. Weil die Schrift die päpstliche Weltordnung untergrub, wurde es umgehend indiziert. Sie griff die Monopolansprüche des spanischen und portugiesischen See- und Kolonialhandels an, was Rom nicht goutierte. De Groot befand in seiner Schrift, das Meer könne niemand Eigentum begründen. Vielmehr dürften sie als internationale Gewässer von allen Nationen zur Handelsschifffahrt genutzt werden. Diese Gedanken sind Grundlage des heute noch geltenden Seerechts.

Nationales Recht

De Groot legte 1619 mit seinem Werk „Inleiding tot de hollandsche Rechts-Geleerdheid“ spektakulär nach. Darin legte er den Grundstein einer nationalen Rechtsordnung. Es gilt auch heute noch bei Juristen als Meilenstein des Staats- und Rechtsdenkens.

Kriegsrecht

Besonders interessant ist sein Vermächtnis „De jure belli ac pacis (libri tres)“ (Über das Recht des Krieges und des Friedens). Damit erlangte er den Ruf eines Begründers des neueren Natur- und Völkerrechts. Es gilt als De Groots Meisterwerk und ist im 17. und 18. Jahrhundert in zahlreichen Auflagen erschienen. Darin fordert er suprakonfessionelles und supranationales Völkerrecht, das frei von moraltheologischen Ansätzen und Traditionen gestaltet sein müsse.

Nach seinem Verständnis gibt es drei Gründe für einen gerechten Krieg:

  1. Verteidigung von Leben und Eigentum (gerechter Verteidigungskrieg)
  2. Rechtsdurchsetzung (gerechter Angriffskrieg)
  3. Ersatzleistung und Sicherheit gegen künftige Angriffe (gerechter Angriffskrieg)

Diese sind nur gerecht, wenn alle Bemühungen zu einer friedlichen Lösung keinen Erfolg erzielten. Darüber hinaus prägte er folgende Gedanken: Unterscheidung zwischen Kämpfenden und solchen, die gezwungen, unglücklich, im Irrtum oder als blosse Mitläufer auf Feindseite stehen. Letztere nicht töten. Vor allem Frauen und Kinder dürfen nicht gewaltsam behandelt werden. Die für den
Rechtsbruch bzw. Angriff Schuldigen müssen bestraft werden, aber ihre Gründe sind zu berücksichtigen. Die Immunität von Gesandten und die formellen Vereinbarungen mit dem Feind sind zu beachten,

Vertragsrecht

Darüber hinaus begründete er ein modernes Vertragsverständnis, indem er ein vom System der römischen Vertragstypen emanzipierte und ausdifferenzierte Vertragsdogmatik propagierte. Er gilt deshalb als wesentlicher Vertreter, wenn nicht gar Begründer der Rechtsübertragungs- oder Veräusserungstheorien zur Begründung vertraglicher Verbindlichkeit.

Epilog

Wir entschlossen uns ohne Vorbereitung, das Slot Loevestijn zu besuchen. Im Schloss wurden wir auf einen grossartigen Gelehrten aufmerksam, der seine Zeit bis heute grundlegend prägte. Hugo de Groot war uns ein Unbekannter. Durch den Besuch und das Befassen mit seinem Leben und seinem Werk, sind wir ihm ein bischen näher gekommen.

Die Schlossleitung hat zur Zeit mit Amnesty International eine Ausstellung gestaltet mit dem Thema „Mondood – politisch inhaftiert“ über politische Gefangene. Das Schloss gedenkt damit den politisch Gefangenen im 17. Jahrhundert, unter denen Hugo de Groot der prominenteste war. Die Ausstellung zieht Parallelen in die Neuzeit und zeigt z.B. am Schicksal von Alexei Anatoljewitsch Nawalny, dass auch heute noch Repressionen und Unrecht angewendet werden, wenn Menschen sich gegen die Obrigkeit stellen. Sie zeigt auch, dass jede fadenscheinige Begründung herangezogen wird oder gar nichts begründet wird. Es gibt Nobelpreisträger, die ohne Anklage oder Verurteilung seit Jahren inhaftiert sind.

Die Ausstellung ist noch bis am 25. Februar 2024 zu besichtigen. Hugo de Groot’s Gedankengut sowie seine Werte leben in den Bemühungen von Amnesty International weiter. Ein Besuch in Loevestijn und ein Engagement bei Amnesty International lohnen sich auf jeden Fall.

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