Das Schicksal der Pamir

Flying P-Liner oder kurz P-Liner nannten Seeleute in der Zeit der Windjammer hochachtungsvoll die Segelschiffe der Hamburger Reederei F. Laeisz (kurz: FL).

Die Schiffe, deren Namen alle mit „P“ begannen, waren für ihre Geschwindigkeit und ihre Sicherheit berühmt, sie wurden in den Reedereifarben Schwarz (Rumpf über der Wasserlinie), Weiss (Wasserlinie) und Rot (Unterwasserschiff) gestrichen.

Die schnellen Segler waren für ihre Robustheit und Geschwindigkeit ebenso geschätzt wie für ihre Zuverlässigkeit, die fast das Niveau eines Liniendienstes erreichte — etwas, das sonst nur Dampfschiffen zugetraut wurde. Carl Laeisz gab seinen Kapitänen daher mit auf den Weg: „Meine Schiffe können und sollen schnelle Reisen machen!“

Auch die Statistik der Klassifikationsgesellschaft Bureau Veritas aus dem Jahr 1908 belegt die Sicherheit dieser Flotte: Während jährlich im Durchschnitt 3 % aller Segelschiffe verloren gingen, lag die Verlustrate bei den Flying-P-Linern bei gerade einmal 0,9 %. FL verlor keinen seiner Vier- oder Fünfmaster durch eigenes Verschul­den. Verluste waren jedoch durch Unfälle oder Kollisionen bedingt: So ging die Preussen 1910 durch Strandung nach einer Kollision mit einem Dampfer bei Dover verloren, die Pitlochry 1913 ebenso im Anschluss an eine Kollision mit einem Dampfer südlich des Ärmelkanals, die Pangani 1913 im Ärmelkanal (30 Tote), die Petschili 1919 im Hafen von Valparaíso durch Strandung und die Pamir 1957 im Atlantik im Orkan (80 Tote). Die Seegerichtsverhandlung im Fall der Pangani kam jedoch zu dem Schluss, dass die Positionslichter in der Kollisionsnacht wegen einer ungünstigen Segelführung für das entgegenkommende Fahrzeug schwer zu erkennen gewesen waren.

Wie die „Pamir“ im Hurrikan unterging

Als das Segelschulschiff „Pamir“ der Hamburger Reederei F. Laeisz am 21. September 1957 untergeht, verlieren 80 von 86 Besatzungsmitgliedern ihr Leben. Die Ladung des Frachtseglers war im Sturm verrutscht. War das Unglück vorhersehbar?

„SOS von ‚Pamir‘ — wir sind in Not, deutsche Viermastbark ‚Pamir‘ droht zu sinken.“ Dieser Funkspruch erreicht am 21. September 1957 um 11.54 Uhr einige Schiffe im Nordatlantik. Kurz darauf folgt das nächste Notsignal: „Schiff nimmt Wasser, sinkt.“ Es ist das Letzte, was von der „Pamir“ zu hören ist. Kurze Zeit später versinkt das Segelschulschiff. Nur sechs von 86 Besatzungsmitgliedern überleben das Unglück.

An die entscheidenden Momente erinnert sich Karl-Otto Dummer, einer dieser Überlebenden, ebenso lebendig wie an das Überleben im Anschluss. Dummer, 1957 gerade 25 Jahre alt und als Kochsmaat an Bord, seilt sich beim Kentern an einem Tau ins Wasser. „Ich hab mich ganz ruhig hinabgelassen“, beschreibt Dummer im Jahr 2007 in einem Interview. „Hätte ich mich fallen lassen, wäre ich vielleicht unter die im Wasser Treibenden geraten, die um ihr Überleben kämpften. Dabei sind viele untergegangen.“ Die „Pamir“ kippt kurz darauf vollends um. „Schliesslich sahen wir das Schiff nur noch kielauf“, so Dummer.

Rund eine halbe Stunde dauert das Sinken, und in dieser Zeit entbrennt im tosenden Wasser, das Wellen von bis zu zwölf Metern schlägt, das Überlebensringen. „Jeder versuchte, sein eigenes Leben zu retten. Man hatte keine Zeit, anderen beizustehen“, beschreibt Dummer die verzweifelte Lage. Er und einige seiner Kameraden erreichen eines der wenige lose geschlagenen Rettungsboote — im Inneren reicht das Wasser jedoch bereits bis zum Bauch. „Der eine betet, der andere flucht“, erinnert er sich. „Das Schlimmste ist das Einschlafen — wer einschläft, ist zum Tode verurteilt.“ Fünf seiner Gefährten überleben die nächsten 54 Stunden jedoch ebenso wenige wie zahlreiche weitere — als das US-Schiff „Saxon“ das Boot entdeckt, sind nur Dummer und einige wenige seiner Mitfahrer am Leben. „Da kam eine Regenböe — und als sie verzog, sahen wir einen Regenbogen“, beschreibt Dummer den Moment seiner Rettung. „Dazwischen tat sich das Tor zum Leben auf.“

Nur sechs von 86 Besatzungsmitgliedern werden lebend geborgen. 60 Schiffe aus 13 Nationen sowie elf Flugzeuge suchen sieben Tage lang im Anschluss das Seegebiet ab. Doch ausser Dummer und seinen Gefährten werden keine weiteren Überlebenden entdeckt — einige Leichen jedoch, die trotz Schwimmweste ertranken, weil dieser das Gesicht unter Wasser drückte. Dieses grausame Ereignis gibt den Anstoss zur Entwicklung ohnmachtssicherer Rettungswesten.

Die Nachricht vom Untergang der „Pamir“ löst in der jungen Bundesrepublik Bestürzung aus. Die Besatzung besteht zum grössten Teil aus jungen Kadetten, Schiffsjungen und Matrosen — viele sind gerade 16 oder 17 Jahre alt. Der Schock ist umso tiefer, weil die „Pamir“ kein beliebiges Handelsschiff gewesen ist. Sie gehörte zur berühmten Flotte der Flying-P-Liner — Segelschiffe, die für Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsstärke geschätzt wurden — und wurde 1905 bei Blohm + Voss in Hamburg erbaut.

Warum sank das Schiff?
Das Seeamt Lübeck beschäftigt sich in den Folgemonaten mit dieser Frage. 1958 kommt das Gremium zu dem Schluss, die falsche Stauung der als lose geschüttetenen Gerste sei die Hauptursache gewesen. Zusammen mit einer mangelnden Erfahrung der Schiffsführung und dem Überraschungseinbruch eines Hurrikans führte dies zum Untergang.

„Die ‚Pamir‘ hätte niemals auslaufen sollen“
Die genauen Umstände sind jedoch bis heute umstritten. Unklar ist beispielsweise, inwieweit das Schiff tatsächlich seetüchtig gewesen ist. Buchautor Johannes K. Soyener, der das Unglück in seinem Tatsachenroman „Sturmlegende“ (2007) beschreibt, ist sicher: Die „Pamir“ war als „Seelenverkäufer“ marode, verschuldet und ebenso fahrlässig geführt — „Sie hätte niemals auslaufen sollen“, urteilt Soyener. Dringende Reparaturen seien aus Kostengründen ausgeblieben. Auch das Schreiben von Kapitän Hermann Eggers an die Stiftung belegt erhebliche Mängel — unter anderem werden dort das korrodierte Stahldeck und das undichte Oberdeck geschildert. Gleichzeitig bescheinigte jedoch der Germanische Lloyd kurz zuvor die Seetüchtigkeit des Seglers.

Die letzte Reise
Am 11. August 1957 sticht die „Pamir“ mit 3.780 Tonnen Gerste an Bord von Buenos Aires in See — unter dem Kommando von Johannes Diebitsch, dessen Erfahrung jedoch ebenso einige Jahre zurückliegt. Der erfahrenere Kapitän Hermann Eggers ist erkrankt. Auch muss Diebitsch wegen eines Hafenarbeiter-Streiks das Getreide durch die eigene Mannschaft stauen. Anstelle von Säcken wurde das Getreide als lose Schüttung verlade­n — das entscheidende Verhängnis, denn lose Gerste ist besonders instabil. „Das weiss jeder Bauer: Gerste fliesst“, beschreibt Soyener das Phänomen. Auch der Tieftank, entscheidende Reserve für die Stabilität, wurde mit Getreide gefüllt — das hat das Gleichgewicht weiter geschwächt.

„Pamir“ im Hurrikan „Carrie“
Anfänglich ist das Wetter ruhig, doch am Morgen des 21. September, etwa 1.100 Kilometer westlich der Azoren, gerät die „Pamir“ in den Hurrikan „Carrie“. Unklar bleibt, ob die Schiffsführung rechtzeitig über das Herannahen des Sturms informiert wurde, um ausweichen zu können. Sicher ist jedoch, dass „Carrie“ ihren Kurs änderte und das Segelschiff voll traf. Die Segel werden zerstört oder gekappt — das Schiff ist nun steuerlos. Die unter Deck verrutschte Ladung bringt das Fahrzeug in erhebliche Schräglage. Wasser dringt ebenso unaufhaltsam ein. Um 12.03 Uhr setzt die „Pamir“ ihren letzten Hilferuf ab — kurz darauf ist das Funksignal weg.

Die „Passat“, das Schwesterschiff, wird Ende 1957 ausgemustert. 1959 kauft die Hansestadt Lübeck das Segelschiff. Heute liegt es als Museumsschiff im Hafen von Travemünde.

Der Untergang als das Ende einer Ära
Der Untergang der „Pamir“ markiert das Ende der Frachtsegelschifffahrt. Auch das wenige Wochen später in Schwierigkeiten geratene Schwesterschiff „Passat“, das ebenso unter einer instabilen Ladung litt, trägt zum Schlussstrich unter dieser Epoche bei. Frachtfahrende Segelschulschiffe hat es seither keine mehr gegeben.